Toronto -Wawa

Am 26. Juni passieren wir die Grenze erneut zurück nach Kanada, wo wir überraschenderweise unser ArriveCAN erneuern müssen. Toronto liegt vor uns, und in der Stadt frei zu ‘campieren’ ist nicht erlaubt. Was wir in Bosten machen können, erlauben wir uns auch in Kanada. Über park4night finden wir neben einem Park direkt am Ontariosee eine Parkmöglichkeit ohne Verbotstafel, nach dem Motto: was nicht verboten ist, ist erlaubt. Wir essen in der Stadt und haben 12 km Stadtmarsch in den Beinen mit 2 Propan-Containern unter den Armen – endlich haben wir unsere Small-Size-Tanks unerwartet gefunden. Wir schauen noch den Trainingsspielen der sportbegeisterten Baseballspieler zu und studieren die kanadischen Spielregeln. Wir schlafen relativ gut, aber immer mit einem wachsamen Ohr; das macht ja das wilde campen so reizend.

Bruce Peninsula National Park

In Ontario geht’s weiter in den Bruce Peninsula National Park. Nun sind wir auch Jahreskartenbesitzer der Kanadischen Nationalparks. Ausserhalb des Parks nutzen wir wieder unser park4night-App für eine Nacht und verbringen anschliessend eine Nacht am wunderschönen Cyprus Lake im Nationalpark. Zum Glück ist das Echtzeit Wetter besser, als die Prognosen. … Und wieder hören wir ein fremdartiges Geräusch vom Fahrzeug-Unterboden her. Steine in den Rädern? Oder wieder Ärger? Fragende Blicke! Ich öffne das Fenster, das Geräusch wird immer schlimmer. Wir halten an, begutachten die Reifenprofile von vorne nach hinten, alles sauber, unsere Blicke werden immer besorgter, entspannen sich aber auf einen Schlag. Wir haben doch tatsächlich unsere Einstiegsleiter scheppernd und schmetternd am Heck nachgezogen, wie Frischverheiratete ihre Büchsenschnur, was für ein Bild muss das abgegeben haben?! Unsere Aluleiter bekam das Prädikat ‘sehr gut’ und wurde Testsieger für 2.4 km Nachschleppen auf Asphalt bei 60 km/h (war wohl auch der einzige Test). Im Nationalpark machen wir ein paar Wanderungen und geniessen es, unsere Füsse wieder einmal auf Naturboden zu vertreten. Die wunderschönen Farben des Lake Huron faszinieren uns. Sie wechseln von tiefem Türkis, über helles Blau, von kristallklar transparent, über moosig-grün, fast schon Südsee-ähnlich auf der ganzen Blaupalette. Der See ist so gross, dass kein Festland in der Ferne ersichtlich ist, obwohl die Sicht meilenweit ist, wahrscheinlich sprechen wir deshalb versehentlich immer vom Meer.

Tobermory-Baymouth

Für den kommenden Tag haben wir bereits die Fähre von Tobermory nach South Baymouth gebucht, um uns etliche Umwegkilometer und damit Umwegdiesel wieder zurück um den See zu sparen. Apropos Sparen: Für unsere Übernachtung verlassen wir den Highway 17 und übernachten wieder kostenlos in der Wildnis. Die Seen- und Sumpflandschaft entlang des Lake Huron und Lake Superior auf dem Highway 17 ist überwältigend. Eine Blumenallee von wilden Lilien und Lupinen säumt die Strassenränder, üppige Wälder bilden den Hintergrund und immer wieder taucht einer der unzähligen tiefblauen Seen aus dem Nichts auf. Hin und wieder türmen sich graue Nebelschwaden in den Himmel empor, welche wir anfänglich als Brandsäule eines LKWs interpretierten. Ein gewaltiges Naturspektakel. Aus Feuchtigkeit, Kälte, Erwärmung und Höhenunterschieden von wenigen Metern. Alles so natürlich schön, dass wir nochmals eine unbezahlbare Nacht direkt am Wawa See verbringen. Wir planen einige Kilometer in Richtung Westen, da das Wetter nicht so prickelig ist. So fahren wir von Wawa, mit Zwischenstopp und Übernachtung in Ignace, weiter durch den Pukaskwa Nationalpark mit dem Ziel, genau die Mitte Kanadas zu treffen, nämlich Winnipeg, der Hauptstadt der Provinz Manitoba. Die Wolken verziehen sich und lassen den Himmel über Kanada wieder in sattem Blau erscheinen, welches sich in den unzähligen Seen rechts, links, hinter und vor uns widerspiegelt. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es so viele Namen gibt, wie es Seen sind. Wo liegt die Definition zwischen See und gestautem Flüsschen? Am Strassenbord wieder die das Auge überflutenden Blumenmatten in orange, gelb, blau und mit weissen Farbtupfern (Margeriten) ausdekoriert und aufgefrischt. Wir geniessen die unberührte Natur und die atemberaubenden Landschaften. Einzig und allein unser Highway liegt in diesem Farbenspektakel eingebettet. Wie muss da wohl der Indian Summer anmuten?

Winnipeg – Calgary

Pünktlich zum Nationalfeiertag Kanadas, dem 1. Juli, kommen wir in Winnipeg an. Wir parkieren beim Museum. Ehr’ und redlich wollen wir die Parkstation bezahlen, doch leider funktioniert das Display nicht, no matter! Wir geniessen die Waterfront am Red River und verköstigen uns am Forks Market. Eine riesige Markthalle aus dem Ende 19. Jh., vom Pelzhandel umfunktioniert zum Foodhandel, sprich Essständen von mexikanisch über kreolisch, von italienisch über chinesisch, von japanisch bis fish & chips, einfach alles, was der Magen begehrt. Zurück vom Magenschmaus haben wir doch prompt eine Notice of Claim über $ 39.00 am Scheibenwischer, what a pitty!
Es liegt erneut eine längere Etappe vor uns, bis wir Calgary, das Tor zu den Rocky Mountains, erreichen. Die Strecke fühlt sich auf dem Trans-Canadian-Highway wieder endlos an. Das Navi zeigt immer noch eine 4-stellige Zahl bis zum Ziel an, die nächste Verzweigung erfolgt nach 476 km! Die Regendauer geben wir in einer neuer Einheit an, nämlich in ‘km’. Auf der Fahrt hat es also 400 km geregnet. Als Navigator bin ich arbeitslos, rechts und links der Strasse zeigt sich immer das gleiche Bild, nur die Tankanzeige inkl. Zapfsäulenreport sowie die Scheibenwischer-Regulierung erfordern Wachsamkeit. Steuermann und Navigator wechseln deshalb alle 2h den Vorsitz. Vor uns lenken Lastwagen ihre langen Anhänger gefährlich weit an den rechten Strassenrand, bis sie von den rettenden Strassenrillen in der Fahrbahn wachgeschüttelt werden. Ab und an verläuft eine Fahrspur auch ins Grüne. Gut vorstellbar, dass auch mein Blutdruck in gefährlich tiefe Grenzwerte sinkt bei der öden Fahrt. Ich zähle schon die Wagons der Zugskompositionen, unsere einzigen Begleiter am Wegrand. Es sind immerhin 165 (!), mit nur zwei Loks.
Unser nächster Zwischenstopp mit Übernachtung ist in Regina geplant. Am Wascana Lake wollen wir erst mal unsere Gelenke wieder an den aufrechten Gang gewöhnen. Wir sehen einen Pelikan, eine Schildkröte, Hasen und 100’000 Gänse. Auf dem Parking hören wir wieder: «Hi folks, what an amazing vehicle, where are you from?» Daugh ist von unserem Gefährt fasziniert, schon sein Vater sei ein absoluter Fan von solchen Fahrzeugen gewesen. Daugh bietet uns eine Übernachtungsmöglichkeit im Garten des Hauses seiner verstorbenen Eltern an, nur 500 m entfernt, im idyllischen Quartier gerade am Rand des Naturschutzgebietes. Er holt noch eine King-Size-Pizza und fährt uns den Weg mit seinem Fahrrad vor, zur Pizza mache ich einen Salat alla italian style. Bei Sonnenuntergang machen wir mit Daugh noch einen gemeinsamen Spaziergang im Schutzgebiet, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Dann überlässt er uns das leerstehende Haus; wir dürfen Bad und Küche benutzen, einfach grossartig, die Gastfreundschaft der Kanadier (was wir sicherlich auch ein bisschen unserem Horu zu verdanken haben).
Rechtzeitig vor Dunkelheit in Calgary angekommen, finden wir einen Over-Night-Platz inmitten der Stadt (inmitten = 20 Gehminuten zum Zentrum). Unglaublich, wie zuverlässig das App iOverlander funktioniert. Wir essen endlich wieder einmal in einem Non-Fast-Food-Restaurant und ganz ohne anschliessendem Frittengeruch im Haar. Es ist bereits dunkel, als wir ‘nach Hause’ gehen, wir fühlen uns eigentlich sicher, nur ein paar wenige Blöcke und hie und da dunkeln Gestalten in Grüppchen lassen uns achtsam, stramm und selbstbewusst weiterziehen. Ich muss sagen, wenn Sam die Kapuze seines Hoodies über den Kopf zieht, bis gefährlich weit ins Gesicht, sieht er eben diesen Gestalten ähnlich, ich komplettiere das Erscheinungsbild noch mit schwerfälligem Schritt und etwas geduckt und schon habe ich ein heimisches Feeling. Wir schlafen gut. Am Morgen steht ein Police-Wagen auf der Gegenseite der Strasse, ist aber kein Problem. Wahrscheinlich betrachten sie unser Fahrzeug rein interessehalber. Viele assoziieren unser Fahrzeug mit einem Militärfahr- oder Ambulanzfahrzeug (weisses Schwyzerchrüzli). Ein Regentag in Calgary. Wir verbringen fast den ganzen Tag in Kaufhäusern, Star Bucks und dem grössten Indoor-Garten Kanadas. Heute ist wieder free Walmart-Camping angesagt, ausnahmsweise mit einer Over-Night-Verbotstafel. Da aber bereits ein paar RVs auf dem Platz stehen, gesellen wir uns zu ihnen. Wir gehen noch in einen chinesischen Lebensmittelmarkt für einen kurzen Kontinent Wechsel. Unglaublich, was wir da alles sehen; wir fühlen uns doppelt ausländisch, können wir weder chinesisch lesen noch verstehen wir ein einziges Wort. Trotzdem essen wir dort (vegetarisch haben sie verstanden 😊) und trinken chinesisches Bier, Jasmin-Tee und morgen rocken ab: «The mountains are calling and I must go. (John Muir)